Zeitzeugen und ihre Geschichten: Der Holocaust

Am 1. September 2023 stand ein weiteres Mal ein interessanter Vortrag im Gymnasium Markneukirchen an. Ab der 10. Klasse konnte man freiwillig in die Aula kommen und den Opfern des Holocaust, welche extra für diesen Tag angereist waren, zuhören.

Die Zeitzeugen stammen allesamt aus der ehemaligen UdSSR. Dort herrschte zur damaligen Zeiten ein großer Antisemitismus, weswegen nur etwa 1% der damaligen Bevölkerung Juden waren. Der Holocaust beschreibt dabei die Zeit zwischen 1933 bis 1945, in der das nationalsozialistische Regime das Ziel verfolgte, alle Juden zu vernichten. Eine kleine Gruppe von damaligen Opfern erklärte sich bereit, in unserer Aula ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu teilen. Das sind ihre Geschichten:

Die Veranstaltung wurde mit den Worten von Alla Omlechenko eröffnet. Als erstes betonte sie, wie wichtig es sei, dass die „neue Generation“ von den schrecklichen, damaligen Ereignissen erfahren würde. Sie selbst stammt ursprünglich aus der ehemaligen UdSSR und lebte zeitweise in einem DDR-Internat. Sie erzählte, dass sie nichts von ihrer Heimat in der DDR preisgeben durfte. Es war ihr sogar teilweise untersagt, mit den Deutschen zu sprechen. Was der genaue Hintergrund für das Leben im deutschen Internat war, konnte ich leider nicht ableiten bzw. aus dem Kontext heraus erkennen. Omlechenko schloss ihre einleitende Rede mit den Worten „Wir sind alle gleich unter Gott, es darf keinen Krieg geben!“ ab und übergab das Wort an Viktor, welcher von seiner Kindheitsgeschichte erzählen wollte.

Viktor war noch sehr jung als der 2. Weltkrieg begann, gerade einmal 2 Jahre alt. Als der Krieg begann, musste er gemeinsam mit seiner jüdischen Familie aus seiner Heimatstadt fliehen. Sein Vater musste seine Wehrpflicht erfüllen und in den Krieg ziehen und seine Mutter vernichtete alle Dokumente, um eine wahrscheinliche Verfolgung durch den Staat zu erschweren. Über 600km zu Fuß und mehrere Monate mit dem Zug zog sich die Flucht in die Länge, Hunger und Kälte erschwerten die Situation noch mehr. Noch dazu mussten sie den Judenstern tragen, welcher alle anderen wissen ließ, welcher Religion sie angehörten. Viktor erzählte, dass er und sein Bruder Angst davor hatten, ihn zu tragen. Sie waren auch noch zu klein, um den vollkommenen Irrsinn dahinter zu verstehen.
Die Familie musste oft von Haus zu Haus schleichen, um eine Unterkunft zu haben. Seine Mutter wusch Geschirr oder Wäsche für andere Menschen, um wenigstens etwas Essen zu bekommen. Eines Tages trieb es ihn und seinen Bruder vor Hunger in ein Feld, um etwas Essbares zu finden. Doch als der Bauer das bemerkte, rannte er auf Viktors Bruder zu und drückte ihn zu Boden. Er schrie fürchterlich, doch seine Mutter half letztendlich und schimpfte ihn danach aber aus. Nach diesen furchtbaren Zeiten kamen zumindest wieder ein paar gute Nachrichten. Über verschiedene Zeitungen fanden sie ihren Vater wieder. Sie suchten ihn so intensiv, bis sie ihn tatsächlich fanden. Er war schwer verletzt, aber noch auf den Beinen und so brach die Familie mit neuer Hoffnung nach Leningrad, das heutige St. Petersburg, auf, um neu zu beginnen. Dort angekommen, gingen die beiden Kinder zur Schule und ihr Vater arbeitete als Lehrer an einer Schule, außerdem schrieb er nebenbei Bücher und Gedichte. Viktor erzählte mit einem leichten, stolzen Lächeln, dass man seines Vaters Werke bestimmt auf Google finden würde.
In Leningrad ließ die Familie auch ihren Namen ändern, womit sie der Verfolgung als Juden entgangen. Der damalige „Hauptkommunist“ Leningrads unterstützte zudem die Juden und versuchte ihnen das Leben zu erleichtern. Das sicherte zu großen Teilen das Überleben Viktors und seiner Familie.

Auch die 83-jährige Ljudmila wollte einen Teil ihrer Geschichte mit uns teilen. Das Besondere: Sie kam gemeinsam mit ihrem Mann, mit welchem sie schon 63 Jahre verheiratet ist. Sie erzählte, dass ihre Familie damals in Kiew überfallen wurde. Sie lebten dort in einem Hotel als plötzlich eine Bombe einschlug. Die Stadt wurde bombardiert und somit begann auch für sie der erbitterte Krieg. Ihr Vater riet ihr, sie solle mit ihrer Mutter nach Mittelasien fliehen. Er selbst musste an die Front und für die UdSSR in den Krieg ziehen. Ljudmila gab uns mit auf den Weg: Das Wichtigste seien damals Freunde für sie gewesen, die sie bei der 4-jährigen Flucht aus Kiew kennenlernte. Sie flohen aus Kiew mit einem großen „Koffer“, welcher zu allem Wichtigen diente. Es war mehr wie eine Art Holzkiste, die an einem Seil befestigt war, so beschrieb sie es uns. Ob Essen machen, schlafen oder waschen, alles wurde in und mit der Holzkiste getan. Es soll teilweise so furchtbar kalt gewesen sein, dass sogar die Haare am Koffer festfroren. Viele Menschen starben an der eisigen Kälte und dem ständigen Hunger, so auch ihre ehemaligen Mitbewohner aus Kiew. Ljudmila erzählte, dass die Eltern starben und nur das kleine Kind der Mitbewohner überleben konnte. Viele grausame Ereignisse geschahen zu dieser Zeit. Ihre beste Freundin, mit welcher sie heute noch in Kontakt steht, zum Beispiel. Diese lebte mit ihren Kindern in einem Konzentrationslager in der UdSSR, wo die Zustände auch dementsprechend noch schlimmer waren. Die Kinder bekamen in Papier eingewickeltes Brot, um wenigstens den Geschmack zu haben, denn es herrschte ein unglaublicher Hunger unter den Insassen. Die Freundin, so erzählt Ljudmila, musste schwer schuften und hätte sie nicht von einem gnädigen Wärter jeden Tag ein kleines Fläschchen Milch geschmuggelt bekommen, hätte sie es vermutlich nicht überlebt. Bis heute treffen sich die beiden regelmäßig in Israel zum Geschichten erzählen.

Ljudmila zog damals nämlich nach Israel mit ihrer Familie, um die Wehrpflicht ihres Sohnes außer Kraft setzen zu können. Sie beendete ihren herzergreifenden Beitrag mit folgenden Worten: „Sie sind die Generation, die keinen Krieg erleben muss, bewahren sie den Frieden. Lasst euch von Menschen, die es erlebt haben, erzählen, wie es damals war, damit ihr es nicht nochmal zulasst.“

Zum Schluss wollte auch der aus einer gläubigen Arbeiterfamilie stammende Alexander seine Geschichte loswerden. Sein Vater wurde bereits 4 Tage vor seinem Geburtstag zum Wehrdienst eingezogen, weshalb er ihn nie kennenlernte. Auch er musste zur damaligen Zeit als Jude einen Davidstern tragen. Seine Geschichte ist wirklich besonders furchtbar.
Als der Krieg in seiner Heimatstadt begann, musste ein großer Teil in verschiedene Konzentrationslager. Die Alten und Kranken, so erzählte Alexander, wurden einfach so vor aller Leute Augen auf der Straße erschossen und die Frauen litten unter Vergewaltigungen, wonach auch sie teils erschossen wurden.
Er selbst kam in ein sogenanntes Todeslager. Ein Todeslager bezeichnet ein grauenhaft überbevölkertes, unhygienisches Lager, wo Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht lebten. In dem Lager, wo er lebte, kam es zusätzlich noch zu großem Hunger sowie Wassermangel. Wie Alexander mitgenommen berichtete, starben zirka 800.000 Menschen in diesem Lager, bevor es letztendlich auch noch gesprengt werden sollte. Die Bewohner bekamen 5 Minuten Zeit, um zu fliehen, danach ging das Lager in die Luft und wer noch darin war gleich mit, das war den Soldaten egal.
Als sie zur Flucht aufbrachen, sollte ihn seine kleine Schwester tragen. Doch er war ihr viel zu schwer und sie war zu überanstrengt, also ließ sie ihn fallen. Seine Hände seien in der Folge am kalten, eisigen Boden festgefroren und seine Mutter musste seine nun blutigen Hände vom Boden abziehen. Glücklicherweise fanden sie Unterschlupf bei einer Familie, welche ein Haus besaß und die Familie einließ. Ohne diese gütigen Menschen wären sie vielleicht sogar erfroren. Am nächsten Tag folgte dann die Befreiung durch die Rote Armee.


Neben seiner eigenen Geschichte erzählte er noch von einem Flughafenbau nur durch Juden als Bauarbeiter-Sklaven. Nach der Fertigstellung wurden alle beteiligten Juden von den Soldaten erschossen.
An einem anderen Ort in der UdSSR sollten Juden aus einem Todeslager, unter noch viel schlimmeren Bedingungen, eine Straße bauen. Viele Bauarbeiter litten so unter der Kälte, dem Hunger und der Überanstrengung, dass sie jämmerlich sterben mussten. Alle Toten, so gaben die Verantwortlichen den Befehl, sollten mit in die Straße einbetoniert werden.
All diese grauenhaften Ereignisse blieben nie vergessen bis zum Fall der UdSSR. Als alles vorbei war, kamen viele verbliebene, ehemaligen Häftlinge zusammen und versammelten sich an allen Schauplätzen des Völkermords. An allen Orten hinterließen sie Kapseln, in welchen sich die Anzahl der Toten befand.

Über 6 Millionen Juden wurden in der Folge des Holocaust ermordet. Oder wie es Ljudmila ausdrückte: Am 27.01.2022 gab es Schneefall in Jerusalem – das kommt sehr selten vor. Als sie die Jahreszahlen zusammenzählte: 2+0+2+2 ergab das 6. 6 Millionen gestorbene Menschen im Zuge des Holocaust. Bis heute haben sie alle die grausamen Ereignisse von damals nicht vergessen und aktuell gibt es den nächsten Krieg in Europa – da kommt die Frage auf, ob die Menschen nicht daraus gelernt haben.

Ein großes Dankeschön geht an Frau Egerter und ihre beiden Helfer für die gute Übersetzung von Russisch ins Deutsche. Zudem möchten wir uns bei allen Zeitzeugen bedanken. Ich für meinen Teil habe an diesem Tag viel dazu gelernt und ich habe größten Respekt vor dem, was sie durchmachen mussten.

„Frieden ist sehr zerbrechlich und man weiß gar nicht, wie schnell sowas geht.“ – Betreuerin der Erzähler.